Ein Weihnachtsgeschenk zum Jugendschutz

An dieser Stelle muss ich hin und wieder den geneigten Leser mit allfälligen Neuerungen und damit verbundenen Ärgernissen unterrichten. Da mutet es fast wie ein Weihnachtsgeschenk an, wenn ich Ihnen im letzen Newsletter zum Jahresende 2010 über etwas berichten kann, was jedenfalls so in seiner ganzen Blüte jedenfalls nicht am 01.01.2011 in Kraft treten soll: Worum geht es?

Am 1. Januar 2011 sollte ein neuer Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) in Kraft treten. Die Novelle wurde bereits im Juni diesen Jahres durch die Ministerpräsidenten der Länder verabschiedet. Jetzt schlug sie jedoch erst Welle um Welle. Schon gaben angesehene Blogs medienwirksam ihre Beendigung bekannt. Viele riefen auf, den Standort Deutschland wegen des komplizierten Rechts zu verlassen.

Können wir tatsächlich alles „außer Internet“?

Nun, tatsächlich dringt so langsam etwas in das Bewusstsein der Händler, was es schon länger gibt, woran sich aber kaum jemand hält. Jugendschutz im Internet. Das Gesetz unterscheidet zwischen unzulässigen Angeboten und entwicklungsbeeinträchtigenden Angeboten. Während die ersteren entweder ganz verboten (zum Beispiel Kriegsverherrlichung) oder nur unter Einsatz von strengen Altersverifikationssystemen zugänglich sind (zum Beispiel Pornografie), müssen entwicklungsbeeinträchtigende Angebote so gestaltet sein, dass sie von Kindern und Jugendlichen „üblicherweise“ nicht wahr genommen werden.

Wer also jugendgefährdendes Material im Internet vorhält, muss dieses Material entweder z.B. durch eine Altersprüfung für Jugendliche unzugänglich machen oder bei entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten (z.B. Softerotik) sich mit seinem Angebot an die „Sendezeiten“ aus dem „alten“ Staatsvertrag halten:

Danach dürfen Angebote „ab 16“ nur zwischen 22.00 und 6.00 Uhr und Angebote „ab 18“ nur zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr verfügbar sein. Der Gesetzgeber ging also seit 2003 tatsächlich davon aus, dass es im Internet so etwas wie „Sendezeiten“ gibt. Der neue Staatsvertrag soll hier eigentlich Erleichterung bringen, nämlich die Möglichkeit die Inhalte im Internet nach Altersstufen (ohne Einschränkung, ab 6 Jahren, ab 12 Jahren, ab 16 Jahren, ab 18 Jahren) zu klassifizieren. Mit einer solchen Klassifizierung entfallen immerhin die anderen Einschränkungen, also z.B. die Sendezeiten. Das würde Softerotikanbieter erfreuen.

Die Klassifizierung sollte so vorgenommen werden, dass sie durch „geeignete“ Jugendschutzsoftware erkannt wird. Wir das technisch gehen soll, weiß aber noch niemand. Das war so kurz vor dem geplanten Inkrafttreten des Gesetzes schon einmal misslich. Wer allerdings keine beeinträchtigenden Inhalte vorhält, musste nichts unternehmen. Allerdings würden später nicht gekennzeichnete Seiten (und damit auch nahezu das gesamte ausländische Internet) in entsprechenden Browsern nicht mehr angezeigt. Was gilt, wenn bei Kundenmeinungen oder in Foren oder Blogs der „user generated content“ droht? Da kann sich manch erotischer Vergleich oder ein Disput möglicherweise schnell in Höhen entwickeln, die dem 6 oder 12-jährigen nicht mehr gerecht werden. Hier konnte man grundsätzlich eine Einstufung der eigenen Seite z.B. ab 16 oder 18 Jahren denken und die Einführung von Notice-and-Takedown-Verfahren (Meldemöglichkeit von für die angegebene Altersstufe ungeeigneten Inhalten).

Unklar war auch, ob man einen Jugendschutzbeauftragten bei solchen Blogs oder Foren bestellen muss. Können kann man. Beauftragter kann jeder sein, der die nötigen Fachkenntnisse aufweist; auch der beratende Anwalt. Er muss dann namentlich mit Kontaktdaten (Anschrift und E-Mail) im Impressum auftauchen.

Die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) wollte ab dem 1. Januar 2011 eine Website freischalten, auf der man mit einem Fragebogen das eigene Angebot einstufen kann. Das damit erhältliche Zertifikat sollte dann ein „Freibrief“ gegenüber denkbaren Bußgeldern werden. Für gewerbliche Seiten sollte er Geld kosten.

Aktuelle Entwicklung

Eine Art „Koalition der Vernunft“ hat den Vertrag am 16.12.2010 platzen lassen. NRW, welches den Länderstaatsvertrag als letztes Bundesland hätte zustimmen müssen, hat sich dagegen ausgesprochen, so dass jedenfalls der Vertrag gescheitert ist. Er hätte vor allem Abmahnern in 2011 so manche Freude bereitet und erscheint dem Autor als gefährliche Vorstufe einer Beeinträchtigung der Meinungsvielfalt. Doch schon regt der Branchenverband Bitkom einen neuen Anlauf an. Bis dahin gilt allerdings der alte Staatsvertrag mit seinen „Sendezeiten“, an den sich bislang kaum jemand hält und dessen Durchsetzung auch nicht verfolgt wurde. Das bedeutet für Händler jetzt nicht, dass man sich zurücklehnen kann. Der Vorsitzende der Rundfunkkommission Kurt Beck drohte bereits mit Internetsperren. „Basierend auf den derzeitigen rechtlichen Grundlagen werden die Jugendschutzbehörden Sperrverfügungen erlassen.“ Konstruktiveres war von anderer Seite zu hören. Danach müsse man jetzt an die Überarbeitung des Gesetzes gehen, so war von den medienpolitischen Sprechern der FDP und CDU zu hören. Eventuell wird dieser Entwurf dann einmal ausführlich diskutiert und nicht hinter verschlossenen Türen von Staatskanzleien ausgebrütet.