Beim Einkauf im Internet steht dem Verbraucher ein sehr weitreichendes Widerrufsrecht zu. Doch auch von diesem Recht gibt es Ausnahmen. Aber zählen pauschal alle Medikamente dazu? Eine niederländische Versandapotheke war dieser Meinung und schloss daher alle Medikamente vom Widerrufsrecht aus. Diesem Vorgehen erteilte das KG Berlin nun eine Absage.
In dem Verfahren vor dem KG Berlin (Urt. v. 9.11.2018, 5 U 185/17) des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) gegen eine Versandapotheke ging es zum einen um die Frage, ob die Apotheke verpflichtet ist, eine Telefonnummer von ihren Kunden abzufragen.
Apotheke holt keine Kundentelefonnummer ein
Die Versandapotheke sah eine solche verpflichtende Angabe der Telefonnummer im Laufe des Bestellprozesses nicht vor.
Zu dieser Abfrage wäre sie aber verpflichtet gewesen, denn 17 Abs. 2a Nr. 7 ApBetrO sieht vor, dass sichergestellt ist, dass eine Versandapotheke die behandelte Person darauf hinweist, dass sie als Voraussetzung für die Arzneimittelbelieferung mit ihrer Bestellung eine Telefonnummer anzugeben hat.
Diese soll Vorschrift soll sicherstellen, dass der Apotheker auch den Patienten hinsichtlich eines Medikamentes beraten kann, der seine Medikamente im Fernabsatz bestellt. Der Patient, der sich die Arznei in der Apotheke um die Ecke besorgt, kann dort direkt vom Personal der Apotheke beraten werden und braucht deshalb keine Telefonnummern angeben.
Es geht dabei etwa um Fragen der Dosierung, Risiken und Nebenwirkungen.
Nach Auffassung der Versandapotheke aus den Niederlanden verstößt die Abfragepflicht der Telefonnummer gegen die EU-Warenverkehrsfreiheit. Mit diesem Argument drang die Apotheke aber nicht durch. Ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit könnte nicht festgestellt werden, so das Gericht, denn diese Pflicht besteht sowohl für inländische wie auch für ausländische Versandapotheken und damit liegt keine Ungleichbehandlung vor.
Das Widerrufsrecht beim Medikamentenkauf
Die AGB der Versandapotheke enthielten neben einer (korrekten) Widerrufsbelehrung auch einen Hinweis auf verschiedene gesetzliche Ausnahmen vom Widerrufsrecht. Darunter befand sich dann eine Interpretation dieser Ausnahmen vom Widerrufsrecht, die sich so nicht im Gesetz finden lässt:
„Hierzu gehören auch Arzneimittel. Da wir nicht überprüfen können, ob nach der Lieferung ein sachgemäßer Umgang mit den Medikamenten gewährleistet war, kommen diese nicht mehr in den Handel und werden zu Ihrer Sicherheit entsorgt. Aus diesem Grund ist bei Arzneimitteln die Widerrufsmöglichkeit ausgeschlossen.“
Gesetzliche Ausnahmen bedürfen der Einzelfallprüfung
Diesen pauschalen Ausschluss von Arzneimitteln vom Widerrufsrecht sah das KG Berlin nicht vom Ausnahmekatalog des § 312g Abs. 2 BGB gedeckt.
So seien Fertigarzneimittel keine Waren, die auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Selbst wenn die Fertigarzneimittel per Rezept dem Kunden verschrieben wurden, erschien dem Gericht das Greifen dieser Ausnahme als sehr zweifelhaft. Letztlich ist dann aber nicht das Produkt auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten, das Rezept soll letztlich nur gewährleisten, dass Medikamente nur an berechtigte Personen herausgegeben werden.
Etwas anderes könnte natürlich bei Salben oder Tinkturen gelten, die erst hergestellt werden.
Da der Ausschluss in den AGB der Versandapotheke aber nicht zwischen verschreibungspflichtigen und freien Fertigarzneimittel unterschied, kam es darauf gar nicht an. Denn in dieser Pauschalität sind Medikamente nicht auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten.
Eine weitere Ausnahme wäre die schnelle Verderblichkeit, unter die auch Medikamente fallen können. Aber auch hierauf konnte sich die Apotheke nicht berufen, so das Gericht. Nicht jedes Medikament ist schnell verderblich. Einige haben sehr lange Laufzeiten. Auch hier muss also eine Einzelfallprüfung durchgeführt werden, ob das jeweils gekaufte Medikament schnell verderblich ist oder nicht.
Auf ein „rechtliches Verderben“ aufgrund der Vernichtungspflicht von Retouren für Apotheken kommt es dabei übrigens nicht an. Das ergibt sich aus dem klaren Wortlaut und dem erkennbaren Gesetzgebungswillen.
Auch die Ausnahme von entsiegelten Produkten, die aus Gründen der Hygiene oder des Gesundheitsschutzes nicht zur Rücksendung geeignet sind, griff in dieser Pauschalität nicht.
Denn auch hier ist eine Einzelfallprüfung erforderlich, sodass diese Ausnahme nicht für einen pauschalen und generellen Ausschluss des Widerrufsrechtes bei Arzneimitteln herangezogen werden kann.
Fazit
Wer über die Ausnahmen vom Widerrufsrecht informiert, sollte sich streng an den Wortlaut des Gesetzes halten und keine eigenen Interpretationen dazu aufstellen. Es passiert schnell, dass man mit eigenen Formulierungen die engen Grenzen der gesetzlichen Ausnahmen verlässt und somit dann wettbewerbswidrig handelt und dafür abgemahnt wird.
Wenn Sie sich unsicher sind, ob die Produkte, die Sie in Ihrem Shop verkaufen, dem Widerrufsrecht unterliegen oder von einer der gesetzlichen Ausnahmen erfasst sind, sprechen Sie uns gerne an und wir helfen Ihnen bei der Einstufung Ihrer Produkte. (mr)
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