Der Erfüllungsort spielt im Versandhandel eine große Rolle. Er regelt z.B., ob der Kunde eine Ware bei einem Mangel abholen lassen kann oder ob er die Ware mangelhafte Ware zum Händler bringen muss. Der Bundesgerichtshof hat zum Erfüllungsort ein Urteil gesprochen, das sich um die AGB eines Möbelhauses drehte. Es ging um die Klage eines Verbraucherverbandes gegen ein Möbelhaus und dessen AGB. Konkret ging es um die Klausel:
„§ 4 Versand; Gefahrübergang; Versicherung
(1)Wir schulden nur die rechtzeitige, ordnungsgemäße Ablieferung der Ware an das Transportunternehmen und sind für vom Transportunternehmen verursachte Verzögerungen nicht verantwortlich.“
Erfüllungsort bei Montage
Auf der Website des Online-Shops (Stand: 4. Oktober 2011) war auch die Möglichkeit eines Montageservices eröffnet. Dort hieß es im FAQ-Bereich unter „Möbel online kaufen -Häufig gestellte Fragen“ unter anderem: „Ist eine Montage der bestellten Ware möglich? Gerne können Sie die Montage Ihrer Möbel hinzu buchen. Nehmen Sie hierzu Kontakt mit unserem Kundenservice auf (…).“ Dieses Montage-Angebot in den FAQ sollte der Wirksamkeit der Klausel in den AGB letztlich entgegenstehen. Denn der BGH sah die Anwendbarkeit der Klausel nicht nur auf reine Versandbestellungen, sondern auch auf die Fälle mit Montage erstreckt. Bei einer solchen Montage ist nämlich der Leistungsort dort, wo die Möbel aufzubauen sind.
Bringschuld- oder Schickschuld
Der BGH hatte bereits in 2003 einmal entschieden, dass im Zweifel auch im Versandhandel eine Vermutung besteht, wonach der Sitz des Verkäufers Erfüllungsort für die Verkäuferpflichten ist. Dies sollte gelten, wenn ein (anderer) Ort für die Leistung weder von den Beteiligten bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen ist (§ 269 Abs. 1 BGB; Senatsurteil vom 16. Juli 2003 – VIII ZR 302/02). Bei einer Montage ergibt sich aus der Natur des Schuldverhältnisses der Montageort als Leistungsort.
Das aber hat Konsequenzen für die Einordnung der Leistung als reine Schickschuld oder als Bringschuld. Normalerweise liegt im Versandhandel eine Schickschuld vor. Die Leistung wird am Wohnsitz des Schuldners (Versandhändlers) erbracht. Dort ist der Leistungsort. Bei der Bringschuld ist der Leistungsort am Wohnsitz des Gläubigers (hier des Käufers).
Bei einer Bringschuld, wie sie im Montagefall vorliegt, weicht die angegriffene Klausel zum Nachteil des Käufers vom gesetzlichen Modell ab. In den Fällen kann der Händler nicht schon alles mit der rechtzeitigen Ablieferung an das Transportunternehmen geleistet haben. Konsequenz: Unwirksamkeit wegen unangemessener Benachteiligung des Käufers (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB).
Unwirksamer Haftungsausschluss
Ganz nebenbei sah der BGH in der Klausel auch einen unwirksamen Haftungsausschluss für Verzögerungen des Transportunternehmens, da der Haftungsausschluss auch bei grobem Verschulden (vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung) Geltung beanspruchte. (BGH, Urteil vom 06.11.2013, Az. VIII ZR 353/12)
Gewährleistung und Ort
Können jetzt alle Versandhändler aufatmen, die „nur“ versenden und keine Leistungen vor Ort anbieten? Leider nein. Die Entscheidung erging ja nur zu einer AGB-Klausel. Im Gewährleistungsfall – und der interessiert den Versandhändler eher – sieht es unter Umständen anders aus. In seiner „Camping-Faltanhänger“-Entscheidung hat der BGH (Urteil vom 13. April 2011 (Az. VIII ZR 220/10) klar gemacht, dass die Frage des Erfüllungsortes von mehreren Gesichtspunkten abhängen kann.
Auch hier geht es wieder um getroffene Abreden und die Natur des Rechtsverhältnisses. Beim Kauf im Ladengeschäft ist es Usus (Juristen sprechen von „Verkehrsauffassung“), dass defekte Ware dorthin gebracht werden muss. Dies gilt erst recht, wenn für Reparaturen spezielles Know-How oder Diagnosemittel vor Ort entscheidend sind, wie bei dem Faltanhänger. Den musste nach der BGH-Entscheidung der Kunde sogar aus Frankreich zum Händler verbringen.
Neben der Ortsgebundenheit der Reparaturleistung ist aber ein weiteres Kriterium kritisch. Nach den Vorgaben der europäischen Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (Art. 3 Abs. 3) muss die Nacherfüllung ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen.
Erfüllungsort in der Praxis
Der Versandhändler kann gegenüber Kunden, die im Gewährleistungsfall auf einer Abholung der Ware bestehen argumentieren, dass sich der Erfüllungsort am Sitz des Händlers befindet. Das gilt jedenfalls dann, wenn nicht vor Ort (Aufbau- oder Einbaufälle) Leistungen zu erbringen waren. Da der Händler immer nach § 439 Abs. 2 die zum Zweck der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, wie Transport-, Wege, Arbeits- und Materialkosten zu tragen hat, sollte er dem Kunden eine kostenfreie Einsendung ermöglichen und ggf. die Zusendung von Transportverpackungen anbieten. Dann dürfte auch eine Argumentation „erhebliche Unannehmlichkeiten“ nicht mehr zu befürchten sein. Und: Vorsicht bei Angaben in FAQ! Sie werden gerne wie AGB bewertet oder jedenfalls – wie im aktuellen Fall – zur Auslegung der AGB herangezogen.
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